Dienstag, 17. Januar 2012

Lear



Lear hat mich umgehauen. Es war völlig irre. Die Geschichte von einem alten König, der sein Reich unter drei Töchtern aufteilen will. Zuvor müssen sie ihm sagen, wie sehr sie ihn lieben. Zwei von ihnen sind falsche Schlangen, die schmeichelhafte Worte finden. Die dritte Tochter liebt diesen Vater aufrichtig, aber sie weiß nicht, wie sie es sagen soll - und wird von ihm verstoßen. Intrige. Mord. Blut. Folter. Kälte. Grausamkeit. Tod. Den ganzen Abend lang.

Richtig schwere Kost. Shakespeare'scher Stoff, zeitgenössische Vertonung von Aribert Reimann. Nicht schön, die Musik, nein, wirklich nicht. Aber kraftvoll und irre emotional. In der Pause war ich so fertig, dass ich einen beachtlichen Koffeinschub brauchte, um die Kondition für die zweite Halbzeit überhaupt aufbringen zu können.

Die Neuenfels-Inszenierung hat mir gut gefallen. Es kommen Hunde vor, eine laszive Tanztruppe und Neuenfels' Frau (Elisabeth Trissenaar) als der leibhaftige Tod. Tómas Tómasson ist ein so charismatischer König. Er singt grandios. Und er spielt noch besser. Beim Schlussapplaus wird er dafür mit Blumen beworfen. Seine beiden fiesen Töchter (Irmgard Vilsmaier und Erika Roos) kreischen mit sagenhaftem Stimmvolumen das Haus zusammen, während die dritte (Caroline Melzer) immer lieblich und irgendwie "silberfarben" klingt. Sogar ein sehr fähiger Countertenor ist mit von der Partie, Martin Wölfel. Also jede Menge geboten.

Es ist mir ein Rätsel, wie man solche Musik überhaupt singen kann. Nichts darin scheint sich logisch zu ergeben, keine Melodie, keine gängiger Akkord. Alles ist eine Aneinanderreihung von Klängen, Geräuschen, Emotionen. Wo finden die Sänger in diesem Brei ihre Töne? Wie prägen sie sich ihre Partie überhaupt ein? Und wie halten die Stimmen das durch? Es wird ja nicht nur gesungen, es wird gesprochen, geschrien, gekreischt, dass die Wände wackeln.

Also, mich hat dieser Lear fertig gemacht. Was nicht heißen soll, er wäre nicht gut gewesen. Er war sogar sehr gut. Etwa in der Art, in der ein Film wie Schindlers Liste gut ist: Er zieht Dir den Boden unter den Füßen weg, du fühlst Dich beeindruckt, betroffen, beklommen. Auch begeistert.

Aber Du willst ihn kein zweites Mal sehen.





Aribert Reimann: Lear. Komische Oper Berlin. Inszenierung von Hans Neuenfels aus dem Jahr 2009.
Oben das Cover des Programmheftes, Foto von Wolfgang Silveri (mit Elisabeth Trissenaar, Tómas Tómasson)

1 Kommentar:

  1. Wirklich grauslig, auch wenn die Bilder toll sind...
    Dein Mann ;)

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